Ganz neu anfangen

„Helfen Sie mir, ich möchte ganz neu anfangen.“ Ein Satz, den ich nicht selten gehört habe.“ Ich meine nicht den Geschäftsmann, der sich insolvent melden muss. Auch er braucht Hilfe in seiner Verlegenheit. Aber „ganz neu anfangen“ hat eine tiefere Dimension. Gemeint ist der das ganze Leben umfassende und alles durchdringende Neuanfang, der in der Mitte der Existenz beginnt und alle Bereiche einschließt. Sören Kierkegaard, der Däne, war ein Christ und der Philosoph dieses Themas: „Das Christentum ist keine Lehre. So entstand alles Unwesen der Orthodoxie mit dem Streit um dies und das, während die Existenz ganz unverändert blieb ... Die Frage nach der Existenz wurde überhaupt nicht mehr gestellt.“ (Und weiter: „Christus hat keine Dozenten angestellt, sondern Nachfolger.“)
Hier sind wir in der Tiefe der Frage nach dem Neuanfang und den Neuanfängen im Leben. Noch einmal, ich meine nicht den Neuanfang in einem Studienfach, in einer Beziehung, in einem Beruf, sondern die Tiefendimension der Verwandlung unseres Lebens. Und wieder Kierkegaard: „Christentum ist eine Existenz-Mitteilung und kann nur dargestellt werden durch Existieren. ... Es muss darum mit jeder Generation von vorn angefangen werden.“ Doch das ist bei Kierkegaard keine allgemeine Sittenlehre, sondern geschieht in der Umkehr zu Christus und wird so zur tiefen Erneuerung des Lebens. Nein, es ist keine unnüchterne Erfahrung gemeint. Weder die Blutgruppe, noch das Geschlecht oder die geschöpflichen Begabungen werden verändert, sondern das Verhältnis zu Gott und den Menschen. Und zu sich selbst! „Gott lieben und den Nächsten wie sich selbst“, so formuliert die Bibel den Dreitakt. Alles auf der Basis der befreienden Liebe Gottes zu uns.
Es gibt große Beispiele für die Umkehr zu Gott durch den Ruf des Evangeliums: „Folge mir nach! Und die Fischer verließen alles und folgten Jesus nach.“ So fing alles an. Nicht jeder und jede werden dabei große geistige und seelische Erlebnisse haben wie Augustinus, Martin Luther und andere Gestalten der Geschichte. Doch solche „Bekehrungen“ stammen nicht aus einer Wundertüte der Geschichte der Christenheit, sondern sie geschehen auch heute. Heute werden Menschen vom Hauch Gottes, dem heiligen Geist berührt und vom Ruf Gottes durchdrungen. Sie trennen sich von dem, was sie bisher von Gott und dem ganz persönlichen Glauben trennte. Umkehr ist stets auch Abkehr und der neue Lebensweg beginnt.
„Ganz neu anfangen“ hieß es am Anfang. Tun wir es doch. Der Lebendige ist uns näher als wir ahnen. Er erwartet nichts von uns, was er uns nicht selbst schenkt. Nur wer ins Wasser springt, lernt schwimmen. Ein Weg beginnt stets mit dem ersten Schritt.