Ein Grab ist ein Grab. Er aber ist uns voraus.

Als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um damit zum Grab zu gehen und Jesus zu salben. Am ersten Tag der Woche kamen sie in aller Frühe zum Grab, als eben die Sonne aufging. Sie sagten zueinander: Wer könnte uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen? Doch als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war; er war sehr groß. Sie gingen in das Grab hinein und sahen auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der mit einem weißen Gewand bekleidet war; da erschraken sie sehr. Er aber sagte zu ihnen: Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier. Seht, da ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte. Nun aber geht und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat. Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemand etwas davon; denn sie fürchteten sich.
Markus 16,1-8
So fängt Ostern an: Das Grab ist ein Grab. Und das Grab ist leer. Blumen und Salben kann man bei den Grabwächtern abgeben. Aber nicht die Hoffnung.
Dabei würde das manchem Spötter gut ins Konzept passen. Die Kirchen als Gruften? Da musste nicht erst Nietzsche deutlich werden. Dass man uns Christen Totenstarre und Verwesungsduft zutraut, sollte uns nachdenklich machen. Manches im Ritual erinnert an Ehrenwachen, und ein toter Glaube macht keine Sperenzchen.
Aber Ostern beginnt eben genau damit, dass uns die Blümchen für den toten Jesus in der Hand welk werden. Im Grab ist er nicht. Das ist der erste Schock. Und wo ist er dann? Uns voraus nach Galiläa? Also auf nach Israel mit den Bibelreisen! Aber so fahren wir von Denkmal zu Denkmal. Und immer ist er uns voraus. Wir erfahren am Ostermorgen nur, wo er mit Garantie nicht ist: im Grab. Und sei es noch so heilig und geheizt. Eine Kirche, die zum Grab geworden ist, ist ihn los. Das gehört zum Osterschock. Auch wenn in der Gruft fröhlich musiziert wird.
Er ist uns voraus. Wer ihn erleben will, muss ihm nachkommen. Er ist nicht tot, wie man in leeren Tempeln mutmaßen könnte, sondern unterwegs, uns voraus. Das ist der Witz. Wer nicht lacht, hat ihn nicht kapiert. Da hilft dann auch das Erklären nichts. Ostern ist das lustige Geheimnis einer trübsinnigen Welt. Ein Geheimnis wie die Liebe: jedem Menschen zugänglich, aber keinem Menschen untertan.
Rätselhaft und geradezu ärgerlich ist es indessen nur für die, die mit der Totenstarre Geld verdienen, Krieg führen, Sklaven halten wollen. Sie haben noch nie gelacht am Ostermorgen und schon gar nicht am leeren Grab. Aber das juckt die Kinder Gottes nicht.
Michl Graff