Atemholen 12/22
13.03.2022

In Schottland findet man scheußlich viele Kirchenruinen. Irgendwann müssen hier die religiösen Radikalinskis gehaust haben, ein sonderlich sparsamer Puritanismus, über den Chesterton bissig bemerkt, dass man »lieber in einer Scheune als in einer Kathedrale betet, und zwar aus einem einzigen Grund, weil die Kathedralen schön sind. « Oh ihr Katholischen mit eurem Brimborium, höre ich manchmal die späten Nachfahren jener Leute sagen, die uns Vorwürfe machen, weil wir's gern schön haben, als ob eine künstlerisch geglückte Kirche sündhaft wäre. Unsinn, sage ich mir dann und halte es mit den Philosophen der Antike und Renaissance, genieße Dome und Krypten, Glasfenster und Fresken, moderne Konstruktionen und bäuerliche Volkskunst und finde etwas Schönes schön und nenne Hässlichkeiten hässlich, wobei ich mich manchmal wundere, wie viele Hässlichkeiten auf engem Raum beisammen sein können, und wieso manche Leute sich darin wohlfühlen. Was wahr und was gut ist, haben jene Philosophen noch gewusst: das wird auch schön sein. Ob es auch teuer sein muss, ist eine andere Frage. Ich räume sogar gern ein, dass manche vor einer Gipsmadonna herzlicher beten können als vor einem Chagall. Wenn Kitsch schön ist, wenn eine Dorfkirche Glauben weckt, soll's recht sein. Es geht nicht um Ästhetizismus und die Ansprüche irgendeiner gehobenen Mittelschicht, sondern um schöne Kirchen. Es geht um Bilder, Säulen, Türme, Stufen zum Altar und jene Atmosphäre, die einen Raum zur Kirche macht.
Vor etlichen Jahren sah ich bei Vox die TV-Reportage „Spurensuche“. Es wurden Adoptivkinder gezeigt, die als Babys von der Mutter zur Adoption freigegeben worden waren. Eine offenbar beliebte Sendung, bei der man mitfiebern konnte, ob und wie und wo der Mensch wieder aufgespürt wurde. Für die Weggabe des Kindes mag es manche Gründe gegeben haben, tragische wohl auch, hoffentlich nie finanzielle Gründe. Vielleicht hatte die Mutter es aus Scham getan? Auch das mag es geben. Die inzwischen erwachsenen „Adoptivkinder“ suchten nun auf komplizierten Wegen nach der Mutter, dem Vater und nach Brüdern und Schwestern, die es häufig auch noch gab. Für die Produktion einer TV-Reportage dieser fragwürdigen Art war es wichtig, dass man diese Menschen wirklich fand und dem Zuschauer präsentieren konnte.
Nachts sind nicht nur alle Katzen grau, sondern auch alle Gedanken. Grau und schwarz und schwer. Die Sorgen um Verwandte und Freunde liegen dir tonnenschwer auf der Seele. Die Sorgen um die Welt rauben dir den Schlaf. Du möchtest mit jemandem sprechen. Aber das kannst du hier jetzt nicht. Alle schlafen.