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Das Vaterunser
Matthäus 6,5-15
Ein Gebet umspannt die Welt und verbindet Christinnen und Christen aus allen Kontinenten: Es ist das Vaterunser. Jesus hat es seine Jünger gelehrt; nach der Überlieferung des Matthäus in der Bergpredigt. Aus dem Beginn des Textes wird deutlich, dass Jesus die Gebetspraxis bzw. -haltung seiner Zeitgenossen sehr kritisch sieht. Oft genug muss das Gebet herhalten zur Demonstration der eigenen Frömmigkeit in der Öffentlichkeit; oft werden beim Beten allzu viele Worte gemacht, als müsse man die Erhörung seiner Gebete durch eigene Beredsamkeit sicherstellen. Demgegenüber empfiehlt Jesus, zum Beten einen Ort der Stille aufzusuchen und sich vertrauensvoll an Gott zu wenden - in der Zuversicht, dass Gott jeden persönlich kennt und darum weiß, was der Einzelne braucht. Als ein Beispiel für solch zuversichtliches Beten lehrt er die Jünger das Vaterunser, das gleich in mehrfacher Hinsicht revolutionär gegenüber der den Juden vertrauten Gebetspraxis ist:
1. Wir dürfen zu Gott Vater sagen: eine für die Ohren eines tiefreligiösen Juden unerhörte Anrede. Nicht die aufgrund seiner Erhabenheit und Majestät himmelweite Distanz Gottes soll das Gespräch des Menschen mit ihm bestimmen, sondern kindliches Vertrauen, das sich der liebenden Nähe des Vaters gewiss ist. Wir erinnern uns an das Gleichnis vom verlorenen Sohn, in dem Jesus uns Gott als liebenden Vater zeigt, der sehnsüchtig auf die Heimkehr seines verschollenen Sohnes wartet.
2. Kannte das Judentum sehr lange Gebete - das wichtigste jüdische Gebet umfasste insgesamt 18 Bitten, von denen jede etwa so lang war wie ein Vaterunser -, so kennzeichnet das Gebet Jesu eine auffallende Kürze. Und trotzdem ist in dieses Gebet alles mit eingeschlossen, was einen Menschen bewegt bzw. bewegen sollte: Die Bitte um das tägliche Brot ebenso wie das Verlangen nach Vergebung; die Sehnsucht nach Erlösung zugleich mit der Erwartung des Reiches Gottes.
3. Das Vaterunser kann man nur mit einem versöhnungsbereiten Herzen beten. Indem wir darum bitten, Gott möge uns unsere Schuld vergeben, wie wir vergeben unseren Schuldigern, können wir nur dann mit Gottes großzügiger Vergebung rechnen, wenn wir auch selbst andern ihre Schuld verzeihen.
Text aus: Klaus Jürgen Diehl, In 99 Tagen durch die Bibel, © Brunnen-Verlag
Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers. Gemälde Kristina Dittert © 2011