Manche Wunder dauern etwas länger
Simone Heintze berichtet über ihr Leben, ihre schweren Erkrankungen und geht der Frage nach, ob Gott in all dem Schweren irgendeinen Unterschied für sie macht:
Mit 13 Jahren hatte ich meine erste Tumorerkrankung: Chemo, Bestrahlung. Mit 16 Jahren den Rückfall, das Ganze nochmal: Chemo, Bestrahlung. Danach hatte ich ein dickes „Geschafft!“ in mein Leben geschrieben.
Doch nun dieses: „Sie haben Brustkrebs, ein invasives-duktales Mammakarzinom! Zwei Lymphknoten sind ebenfalls betroffen. In diesem Falle ist eine Chemotherapie mit anschließender Operation unumgänglich.“ Ich starre den Arzt vor mir an. Das kann nicht sein! Ich schlage mir die Hände vors Gesicht. Nein, das kann nicht sein.
Mit 39 Jahre erlebe ich kein Wunder, nur Tatsachen: Ehefrau eines selbständigen Mannes (das „selbst“ und das „ständig“ trifft es absolut), Mutter von drei Kindern, Minijobberin bei einem Sozialverband, ehrenamtliche Mitarbeiterin in der Kirchengemeinde und Rentenberaterin der Deutschen Rentenversicherung. Es war voll, mein Leben, aber ich mochte es so, wie es war. Na gut, ein bisschen mehr Zeit für mich hätte ich mir zwischendurch schon gewünscht, aber die gibt es später, tröstete ich mich. Wenn die Kinder groß, Haus und Firma abbezahlt sind.
Auf einmal ist nichts mehr, wie es war
Und dann plötzlich, wie nach einem Erdbeben, ist nichts mehr, wie es war! Diese Diagnose stellt alles in den Schatten. Nichts mehr mit Planen und Organisieren. Alles umsonst. Die Erinnerung an die früheren Erkrankungen holt mich ein. Nun sitze ich hier im Arztzimmer und höre mir diese Diagnose an: Brustkrebs. Das geht nicht. Das war Vergangenheit. Das hatte ich doch hinter mir gelassen. Ich kann keine weitere Chemotherapie ertragen. Seit Jahren habe ich Panikattacken, ich kann es nicht aushalten, wenn ich eine Spritze bekomme. Mein Körper spielt dann völlig verrückt: Herzrasen, Atemnot, Taubheit, Angst zu sterben. Wie soll das mit einer Chemo gehen? Ich will nicht, ich kann nicht. Herr, bitte tu ein Wunder!
Keine Chance, der medizinische Apparat läuft an. Alles geht so schnell. Vorstellung in der nächsten Klinik zur Besprechung der Chemotherapie. Ich habe das Gefühl, neben mir zu stehen, nicke und akzeptiere, was die Ärzte mir empfehlen. In zwei Wochen die erste Infusion. Bei dem Gedanken kippe ich fast um. Doch plötzlich werde ich gelassen, göttliche Ruhe umfängt mich. Gott hat einen Plan, einen guten Plan, da bin ich mir sicher. Auch wenn meine Welt gerade in tausend Stücke zerbricht, Gott wird mich halten. Ich stehe im Park und sehe die Vögel umherfliegen: „Sie säen nicht, sie ernten nicht, und doch ernährt unser himmlischer Vater sie. Hab doch mehr Vertrauen!“ Die Bibel: nach Matthäus 6,26. Ja, wo ist es denn, mein Vertrauen?
Giftladungen gegen den Tumor
Meine Therapeutin hilft mir bei der Vorbereitung auf die Chemo: Ich soll mir viele kleine Männchen vorstellen, die diesen blöden Tumor Stück für Stück nach draußen tragen, raus aus meinem Körper. Irgendwie hilft mir das. Drei Wochen später die nächste Giftladung. Ich packe auch die. Doch ein paar Stunden später haut es mich völlig um. Ich habe Atemnot, kann nicht mehr laufen. Es fühlt sich an, als ob meinem Körper ganz langsam das Leben entweicht. Das ist das Ende, durchfährt es mich! Ich werde sterben. Mein Mann fährt mich in die Notaufnahme. Ich bin zu nichts mehr fähig, denke nur noch ans Sterben. Das war’s, ein ganz toller Abgang!
Ich denke nur noch ans Sterben
Doch da sind Ärzte, die mich auffangen, mir Mut machen, mich langsam wieder ins Leben holen. Krankenhauspersonal, das mich aufpäppelt, mich verwöhnt, mir Ruhe und Erholung schenkt. Ein Wunder? Die Therapie wird auf ärztliche Anweisung von ambulant zu stationär umgestellt, damit mein Körper zur Ruhe kommt. Der Tumor wird bei der Kontrolluntersuchung kleiner. Ein Wunder? Ich lerne in der Klinik bemerkenswerte Menschen kennen, die an mich glauben, mir Kraft und Mut schenken. Meine Freunde rotten sich zusammen, ich bekomme Blumengrüße, werde über mein Smartphone liebevoll mit Bildern und guten Wünschen überschüttet, für meine Familie wird Kuchen gebacken und Wäsche gebügelt. Meine Familie gibt mir Zuversicht, meine Kinder, die mir unbeschwert von ihren Teenager-Erlebnissen erzählen, meine Brüder, die mit mir per Bildtelefon kommunizieren. Ein Wunder?
Mir blieb nichts erspart während meiner Therapie. Doch ich darf dabei eine tiefgreifende Erfahrung machen: Gott hält mich, er trägt mich. Immer. Er stellt mir Menschen an die Seite, die diese schwere Zeit mit mir durchstehen. Aufgeben? Niemals! Immer flackert dieser Kampfgeist auf. Immer wieder die Zusage: „Ich kann nie tiefer fallen als in Gottes Hand.“ Das ist das wahre Wunder, das mich diese Krankheit lehrte. Das Wunder, Gott zu vertrauen!
Immer noch kein Ende
2017 kam mit 43 Jahren die vierte Krebsdiagnose inklusive Scheidung. Sprachlos. Hoffnungslos! Die drei vorigen Krebserkrankungen mit 13, 16 und 39 Jahren konnte ich irgendwie mit viel Mut und Gottvertrauen besiegen. Doch nun tat sich ein echter Abgrund auf: Die vierte Krebserkrankung. Das war nicht zu überleben. Dieser Tiefschlag stellte mein Vertrauen auf Gott auf eine sehr harte Probe. Es war einfach zu viel. Ich haderte mit meinem Glauben, war unendlich enttäuscht von Gott, dass er mich so hängen ließ. Mitten in diese fast nicht auszuhaltende Situation hinein sprach Gott seinen Segen. Einen Segen, der mein Denken und meinen Glauben vollständig veränderte. Die Ärzte standen wie eine starke Wand hinter mir und machten deutlich: „Wir gehen mit Ihnen zusammen da durch.“ Dazu kam eine WhatsApp-Gruppe mit Freunden und Bekannten aus meiner Kirchengemeinde, die fast rund um die Uhr für mich beteten. Als es mir besonders dreckig ging, entzündeten alle bei einem „Kerzenflashmob“ eine Kerze für mich.
Eigentlich bin ich Bankkauffrau von Beruf, mittlerweile aufgrund meiner Erkrankung Rentnerin. Aber ich gelte als geheilt – was für ein Wunder! Ich bin unglaublich dankbar, dass ich mich ehrenamtlich engagieren kann: als Versichertenälteste für die Deutsche Rentenversicherung Westfalen, als Grüne Dame im Krankenhaus und in meiner Kirchengemeinde. Ich habe – trotz allem – so viel Segen erlebt. Diesen Segen möchte ich an andere weitergeben.
Simone Heintze
Mehr Informationen zu Simone Heintze und ihren Büchern gibt es unter simoneheintze.de.
Gott und meine schweren Zeiten
Viele Menschen empfinden Not: Im ständigen Alltagsstress. Im Vereinbaren von Arbeits- und Familienleben. Im Bangen um die eigene Gesundheit oder um die eines anderen. In der Trauer über den Verlust eines lieben Menschen ... Besonders in diesen Zeiten will Gott uns Zuflucht und Stärke sein.